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MCS als Diagnose im heutigen Gesundheitssystem

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Die Diagnosenummer ICD 10 T 78.4, der MCS zugeordnet wird, beschreibt "sonstige Überempfindlichkeiten". Das ist nicht weit genug von der psychosomatischen Schublade weg. Deshalb sollten Umwelterkrankte weiterhin vorsichtig sein, ihre Gesundheitsstörungen unter der Diagnose MCS einordnen zu lassen.

Nach meinen Erfahrungen wird es nicht das lang erhoffte Musterurteil zu MCS geben, da Gerichte nicht den Streit der Doktores um die gültige Lehrmeinung entscheiden.


Falls wirklich einmal ein Urteil ergehen sollte, dass MCS auf Grund beruflicher Verursachung entstand oder MCS einen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente begründet, so dürften die Anhänger der psychosomatischen Schublade den Richter in der Luft zerreißen. Die Rentenversicherung wird das Urteil ignorieren. Sie (die Rentenversicherung) weigert sich sogar, höchstrichterliche Urteile umzusetzen (BSG, Gesetzwidrigkeit der Abschläge bei Erwerbsminderungsrenten an unter 60-jährige).

Rechtsstreitigkeiten gegen die Sozialversicherungsträger sind für den Betroffenen enorm belastend. Es ist zuviel verlangt, diese Prozesse noch mit der generellen Anerkennung von MCS als "ordentliche" Erkrankung zu befrachten.

Umwelterkrankte können wahrscheinlich erst mit der Anerkennung der MCS als "ordentliche" Erkrankung (also nicht als sonstige Überempfindlichkeit) rechnen, wenn die Pharmaindustrie an solchen Patienten viel Geld verdienen kann. In einer Fernsehsendung (ZDF, 12.02.08, 22.45) berichtete ein HNO-Arzt (Dr. Ohnsorge), dass bis zu 9 % der Bevölkerung umwelterkrankt sind (MCS, Fibromyalgie, Müdigkeitssyndrom). Der Anteil der Diabetes-Patienten an der Bevölkerung bewegt sich in ähnlichem Bereich, aber für dieses Erkrankungsbild gibt es eine Lobby, "die Pharmaindustrie kümmert sich".

Da eine generelle Lösung in absehbarer Zeit nicht in Sicht ist, muss, als Minimalhilfe, jeder Umwelterkrankte befähigt werden, mit logischen und einfachen Argumenten die Psychosomatisierungsversuche von Gutachtern und einigen (etlichen?) Ärzten erfolgreich abwehren zu können.

Die Rentenversicherung schiebt einem sogar MCS als Diagnose unter, um beantragte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation verweigern zu können. Im Jahr 2003 initiierte meine HNO-Ärztin bei der BfA facharztübergreifende Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation in einer (nicht weiter benannten) Klinik mit umweltmedizinischer Orientierung. Ich arbeitete damals seit 30 Jahren in der Versuchsabteilung eines Dieselmotorenherstellers, befand mich 20 Jahre in hautärztlicher und 7 Jahre in HNO-ärztlicher Behandlung. Als Diagnosen standen: 

  • chronisch-rezidivierendes allergisches Kontaktekzem bei berufsrelevanten Sensibilisierungen gegenüber Dieselkraftstoff, Formaldehyd, Nickel, Kobalt, Benzoylperoxid, p-Phenylendiamin, Thiuram-Mix, p-Toluylendiamin (Allergiepaß aus dem Jahr 2000),
  • beruflich induzierte Akne infolge der chronischen Einwirkung von polyaromatischen Kohlenwasserstoffen (Motoröl, Kraftstoff),
  • toxisch-degenerative Hautschädigung infolge jahrelanger Einwirkung berufsrelevanter Hautirritantien,
  • chronisch, toxisch-irritative Rhinopharyngolaryngitis durch berufliche Schadstoffexposition mit allergischer Komponente.

Als Therapie empfahlen die Ärzte: Meidung der Schadstoffe, Pflege der Haut und Schleimhaut, möglichst Aufgabe der gefährdenden Tätigkeit.

Die Reha-Maßnahmen hielt die HNO-Ärztin für erforderlich, weil sich die Zeiten der Arbeitsunfähigkeit häuften, weil ich eine zunehmende Empfindlichkeit auf eine Vielzahl luftgetragener chemischer Substanzen entwickelte und sich nervliche Funktionsstörungen (gestörte Feinmotorik der Hände, langsam im Denken und Handeln, Schüttelfrost bei Schadstoffexposition) zeigten.

Die BfA begründete die Ablehnung des Antrags mit der Diagnose v.a. MCS.
Für MCS gäbe es keine wissenschaftlich begründete somatische Therapiekonzepte; meine Gesundheitsstörungen bedürften ambulanter Behandlung; ich sei voll arbeitsfähig bei Meidung von Hautreizstoffen und Allergenen. Als Hilfsangebot kann lediglich kognitive Verhaltenstherapie zur Vermittlung geeigneter Bewältigungsstrategien empfohlen werden.

Hier vernahm ich erstmalig "MCS" und wusste nichts damit anzufangen. Nach dem Studium einschlägiger Literatur (1, 2) weigerte ich mich, MCS als Diagnose anzuerkennen. Ich wollte nicht im Meinungsstreit der Ärzte aufgerieben werden.

Die Geheimnistuerei um die Empfindlichkeit auf chemische Substanzen provoziert Widerrede. Im Körper laufen chemische Reaktionen ab, die man prinzipiell messen bzw. nachvollziehen kann. Misstrauisch macht auch, dass die Befürworter einer psychosomatisch verursachten MCS die Möglichkeit somatopsychischer Erkrankungsmechanismen abstreiten. Die drohende psychosomatische MCS-Schublade war Ansporn, nun genauer wissen zu wollen, was sich im Körper abspielt.

Gegen den BfA-Bescheid legte ich Widerspruch ein und erhob später Klage vor dem Sozialgericht.

Ich kümmerte mich privat um eine umweltmedizinische Behandlung und fand, über die MCSSelbsthilfegruppe am Wohnort, den Weg zu einem Diagnostik- und Therapiezentrum für umweltmedizinische Erkrankungen. Im Jahr 2004 initiierte man dort umfangreiche Untersuchungen. Es wurde die Funktionsstörung der Bluthirnschranke festgestellt. Kernproblem war die, infolge Schadstoffexposition, pathologisch hohe Stickstoffmonoxid-Konzentration (NO-Konzentration) im Blut mit negativen Auswirkungen auf den Stoffwechsel im gesamten Körper (Mitochondropathie), bes. aber auf das Nervensystem. Unter der diagnostizierten toxischen Enzephalopathie tritt die MCS-Symptomatik in Erscheinung.

Die Beschwerden wurden durch messbare Parameter objektiviert.
Die Therapie beinhaltet die Aktivierung des Stoffwechsels durch individuell angepasste Zuführung von Mikronährstoffen und Ernährungsempfehlungen bei gleichzeitiger Schadstoffkarenz. Zielgröße ist die Senkung der dauernd erhöhten NO-Konzentration im Blut. Schadstoffkarenz - also lebenslang sozialer Rückzug aus dem prallen, bunten Leben in der chemisierten Gesellschaft? Meine Vorstellungen vom Ergebnis ärztlicher Kunst sahen etwas anders aus.

Worin besteht der Unterschied zu gesunden Menschen oder zu meinem früheren körperlichen Zustand? Welche Körperstruktur muss repariert werden, um den sozialen Rückzug zu stoppen?

Im Diagnostik- und Therapiezentrum für umweltmedizinische Erkrankungen lernte ich, die Abläufe im Körper bei Fremdstoffeinwirkung zu verstehen, aber die komplizierte Biochemie beherrsche ich nicht. Deshalb zeichnete ich auf der Basis der ärztlichen Befundberichte und Messergebnisse ein Wirkschema, wie es bei technischen Prozessen üblich ist (s. Abb.).

Bei gestörter Barrierefunktion der Haut bzw. Nasenschleimhaut, wie hier vorliegend, gelangen Schadstoffe ungehindert (vermehrt und schneller als beim Gesunden) in den Blutkreislauf (3, 4) und die nachfolgenden Komponenten des Regelsystems werden übersteuert: Th1-Lymphozyten, erhöhtes IF-Gamma, NO-Erhöhung, Mitochondrienstörung. Die ins Blut gelangten Schadstoffe reizen und schädigen die Bluthirnschranke, so dass vermehrt das Protein S 100 gebildet wird, das ebenfalls die NO-Bildung im Blut steigert (5). Die auf die NO-Erhöhung folgende Mitochondrienstörung führt zu Funktionsstörungen an verschiedenen Organen und (unerkannt, unbehandelt) zu Organschäden. Besonders betroffen sind das Nervensystem, das Muskelgewebe und die Schleimhaut (Nase, Rachen, Darm). Im Wirkschema ist eine bedeutende Quelle der NO-Bildung nicht enthalten, weil selbst nicht betroffen. Nach Kuklinski (6) können Erkrankungen oder Veränderungen der Halswirbelsäule, z.B. nach Unfällen, zur Nervenreizung dort führen, gefolgt von neurogenen Entzündungen, Reizung der Bluthirnschranke, S 100-Erhöhung und erhöhter NO-Bildung.

Lt. Auskunft meines HNO-Arztes beruht die Geruchsintoleranz gegenüber alltäglich vorkommenden Substanzen nicht auf einer Störung der Geruchsrezeptoren in der Nase, sondern auf Störungen bei der Weiterleitung und Verarbeitung der Nervensignale, die die Geruchsrezeptoren verlassen. Geruchsrezeptoren werden im Verlauf des Lebens unempfindlicher, niemals empfindlicher.

Das Schema ist eine sehr vereinfachte Darstellung und beinhaltet nicht die Vielfalt der Stoffwechselvorgänge. Es reduziert die komplizierte Biochemie des, u.a. durch Schadstoffe gestörten, Stoffwechsels auf einen einfachen Ursache-Wirkung-Zusammenhang. Die Bekämpfung der, u.a. durch Schadstoffe verursachten, Stoffwechselstörung konzentriert sich auf die Vermeidung einer dauerhaft extrem hohen NO-Konzentration (7, 8). Die pathologische NO-Konzentration kann durch Störung der verschiedenen am Regelsystem beteiligten Komponenten zustande kommen. Es ist nicht Bedingung, dass die Eingangsfilter (Barrierefunktion der Haut und Schleimhaut) defekt sein müssen.



Ich meinte, mit dieser logischen und einfachen Betrachtungsweise genügend Argumente gegen Psychosomatisierungsversuche bzgl. MCS gefunden zu haben. Im Jahr 2005 ergänzte ich im Rechtsstreit gegen die BfA (Gewährung von Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation mit dem Ziel der ungestörten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft) meinen Antrag um folgende Forderungen:

  • Verhinderung des Schadstoffübertritts in den Blutkreislauf durch Sanierung der durch berufliche Schadstoffe beschädigten Filterfunktion der Haut.
  • Verhinderung des Schadstoffübertritts in den Blutkreislauf durch Sanierung der durch berufliche Schadstoffe beschädigten Filterfunktion der Schleimhaut im Nasen-Rachen-Bereich.
  • Verhinderung des Schadstoffübertritts aus dem Blutkreislauf in die Nervenstrukturen durch Sanierung der durch berufliche Schadstoffe beschädigten Filterfunktion der Bluthirnschranke.

Die Reaktion der Rentenversicherung (Zitat): "Die von dem Patienten geforderten Aufgaben und Bedingungen einer Rehabilitation haben mit einem wissenschaftlich begründbaren schulmedizinischen Ansatz nichts gemein."

In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht (Juli 2006) lehnte die Rentenversicherung Reha-Maßnahmen als aussichtslos ab und plädierte stattdessen für eine Erwerbsminderungsrente, gestützt auf die Befunde der behandelnden Ärzte und ohne hauseigene Begutachtung. Die Rente war von mir nicht beabsichtigt. Sie kam überraschend, selbst für den Vorsitzenden Richter.

MCS kommt im Schriftsatz des Vergleichs nicht vor, es wird auf die Feststellungen der behandelnden Ärzte verwiesen. Die Leistungsminderung begründet sich hauptsächlich auf die Diagnosen Mitochondropathie, Laktazidose und toxische Enzephalopathie. Die berufliche Verursachung spielt in Prozessen gegen die gesetzliche Rentenversicherung keine Rolle - es geht lediglich um die Feststellung des Restleistungsvermögens.

Ich bin nicht mehr gezwungen, mich gegen meine Gesundheit den belastenden klimatischen Verhältnissen am Arbeitsplatz auszusetzen. Mit dem Ausgang des Rechtsstreits ist meine gestörte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft festgeschrieben. Das Sozialversicherungssystem hat mich als austherapiert abgelegt, aber nicht in die psychosomatische Schublade.

Es ist wichtig zu wissen, dass der Begriff "Teilhabe" in Anlehnung an den internationalen Sprachgebrauch seit In-Kraft-Treten des SGB IX am 01.07.2001 überwiegend den Begriff "Rehabilitation" abgelöst hat. Mit der neuen Bezeichnung ist die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft - hierzu zählt auch das Arbeitsleben - gemeint. Zu den Teilhabeleistungen gehören hauptsächlich die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation (hier bleibt die alte Bezeichnung erhalten) und zur Teilhabe am Arbeitsleben (früher berufsfördernde Leistungen). Bei jedem Antrag auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit wird geprüft, ob Leistungen zur Teilhabe voraussichtlich erfolgreich sind. Das entspricht dem Prinzip "Teilhabeleistung vor Rente".

In der Praxis beschränkt die Rentenversicherung ihre Zuständigkeit immer noch auf den Bereich des Arbeitslebens (berufsfördernde Leistungen und medizinische Rehabilitation zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit), ignoriert damit den weitergefassten Begriff "Teilhabe am Leben in der Gesellschaft" (also auch das Leben vor den Werkstoren) und verstößt gegen das seit 01.07.2001 geltende SGB IX.

Mit der Ausreichung der Erwerbsminderungsrente erklärt sich die Rentenversicherung als nicht mehr zuständig für Teilhabeleistungen. Der Antragsteller wird an die Krankenkasse abgeschoben, die allerdings Leistungen nur für Akuterkrankungen - was das auch sei - erbringt. Das Sozialgericht schloss sich im vorliegenden Fall der Ansicht der
Rentenversicherung an, der Prozess um Teilhabeleistungen wurde nicht gewonnen.

Anscheinend bekommt man innerhalb des Leistungsspektrums der Sozialversicherungsträger die Ursache der Chemikalienempfindlichkeit, den gestörten Stoffwechsel, nicht diagnostiziert; zumindest nicht als Komplettpaket. Das Organisieren der Erarbeitung der Diagnose muß der Umwelterkrankte mehr oder weniger selbst in die Hand nehmen.

In der Hausarztpraxis wird meist keine weiterführende Hilfe vermittelt, weil dort kaum Kenntnisse über schadstoffverursachte Funktionsstörungen der Zellmembranen (10) vorhanden sind. Auch erfährt man dort nicht, dass u.a. die Dysbalance der Stickstoffmonoxid-Konzentration zu Funktionsstörungen und Krankheiten führt (7), dass erhöhte NO-Konzentration die Mitochondrien bei der Energiegewinnung behindert und die Mitochondropathie letztendlich für die MCS-Symptomatik verantwortlich ist (8).

Die derzeitige Unkenntnis vieler Ärzte über schadstoffverursachte Stoffwechselstörungen macht es den Sozialversicherungsträgern möglich, MCS als psychosomatische Befindlichkeitsstörung einzuordnen.
Statt Musterurteile zur Diagnose MCS
(also ICD 10 T 78.4 = "sonstige Überempfindlichkeiten") abzuwarten, muss die Ärzteschaft weitergebildet werden.

Jeder Hausarzt muss zukünftig in der Lage sein, Patienten mit MCS-Symptomatik an die Hand zu nehmen und den Weg zur Erarbeitung der Diagnose zu zeigen.

Wissenschaftler erforschen die Tier- und Pflanzenwelt bis ins Detail, um deren Biochemie und Informationsverarbeitung für technische Prozesse zu nutzen. Die dort verwendeten Methoden der Systemanalyse werden bei Umwelterkrankungen immer noch, in beträchtlichem Ausmaß, ignoriert. Das muss ein Ende haben.

Die Objektivierung der Gesundheitsstörungen durch messbare Parameter ist für den Patienten Hilfe zur Selbsthilfe. Er weiß dann, wie der "Feind im Körper" aussieht und mit welchen Mitteln man gegensteuern kann (8: 104-105).

Wer sich wegen MCS-Reaktionen entschließt, den Arzt zu konsultieren, hat meist noch andere, damit in Zusammenhang stehende, sicht- und messbare Gesundheitsstörungen, die aber nicht sämtlich geeignet sind, die erwartete Leistung zur ungestörten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gegenüber den Sozialversicherungsträgern zu begründen.

Hauptbestandteil der medizinischen Rehabilitation muss die Sanierung der Körperstrukturen sein, deren Fehlfunktion ursächlich zur NO-Erhöhung führt.

Beispielhaft genannt seien Barrieredefekte der Haut, der Nasenschleimhaut, der Bluthirnschranke oder die Instabilität der Halswirbelsäule (6), eventuell auch ein gestörtes Immunsystem. Das ist individuell verschieden.

Wird der Antrag auf Maßnahmen zur medizinischen Rehabilitation unexakt begründet, landet man z.B. wegen MCS und Polyneuropathie in einer Fachklinik für Neurologie/Psychiatrie zur Symptombekämpfung, aber nicht zur Generalreparatur.

Die Sozialversicherungsträger müssen fortwährend mit dem vollmundigen Versprechen der ungestörten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft konfrontiert werden, unter Bezugnahme auf deren Selbstdarstellung, auf SGB IX und auf die konkreten Aufgabenstellungen, die sich aus den im Vorfeld durch messbare Parameter objektivierten Gesundheitsstörungen ergeben.

Die Objektivierung der Gesundheitsstörungen ist in ärztlichen Befundberichten schriftlich festzuhalten. Gutachter der Sozialversicherungsträger deuten Schilderungen des Patienten gern als subjektive Gesundheitsstörungen und unterstellen "übertriebene Selbstbeobachtung".

Bei Zuweisung einer Reha-Klinik muss dort deren Profil erfragt werden bzw. es müssen die individuellen Anforderungen dorthin mitgeteilt werden. Schriftlich, für später, für das Sozialgericht!

Der Konflikt spitzt sich auf die Forderung und Entscheidung zu:

Reparatur der benannten Körperstrukturen

oder

Schaffung von Umgebungsbedingungen zu finanziellen Lasten der Sozialversicherungsträger in der Art, dass eine symptomfreie (ungestörte) Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gewährleistet ist.

Der zuständige Sozialversicherungsträger wird versuchen, sich um die Entscheidung zu drücken, wird seine Zuständigkeit leugnen. Der Gang zum Sozialgericht ist programmiert.

Der Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ist ein Hilfeersuchen. Verweigert sich der Sozialversicherungsträger oder mutet er durch Untätigkeit dem Erkrankten zu, sich weiter krankmachenden Bedingungen auszusetzen, so sollte geprüft werden, ob die Tatbestände der unterlassenen Hilfeleistung, Aufsichtspflichtverletzung und Körperverletzung vorliegen. Es wäre auch zu prüfen, ob Versicherungsbetrug vorliegt, wenn einem Versicherten bei Eintritt des Versicherungsfalles die Leistung verwehrt wird. Damit muss sich ein Rechtsanwalt befassen.

In vielen Fällen wird es für eine grundhafte Instandsetzung der defekten Komponenten des Regelsystems (Abb.) zu spät sein, weil die Erkrankungen jahrelang nicht richtig diagnostiziert wurden oder Sozialversicherungsträger sich weigerten, den Erkrankten aus gesundheitsgefährdenden Arbeitsplatzbedingungen herauszunehmen (Berufsgenossenschaft; Ablehnung von beantragten Maßnahmen nach §3 BKV).

Die weit verbreitete Ansicht, dass ausschließlich psychologische Behandlung die MCS-Symptomatik beseitigen würde, steht nicht nur im Gegensatz zu den biochemischen Störungen im Körper des Umwelterkrankten, sondern auch zu dem, was diese Behandlung zu leisten vermag. Psychotherapie soll körpereigene Kräfte mobilisieren und Energieströme umlenken. Was ist, wenn die Mitochondrien schwächeln und keine Energie zum Verteilen bereit steht? Da hilft kein Zauber, kein Ritual, kein mental feedback.

Ein leerer Akku gehört ans Ladegerät; der Elektronenfluss bringt Energie in die Zelle. Die Energie kann aber nur gespeichert werden, wenn die Zelle ordentlich arbeitet, wenn die (Autobatterie-)Zelle nicht durch Bleischlammablagerungen verunreinigt ist.

Als logische Abfolge ergibt sich: Zuerst die Zellen putzen, dann Energie zuführen, dann Energie abfordern für - um beim Analogiemodell zu bleiben - die Autobeleuchtung oder die Psychotherapie.

Der derzeitige Umgang der Gesellschaft mit Umwelterkrankten ist ursächlich für psychische Probleme bei Patienten mit MCS-Symptomatik.
Als Erkrankter bemüht man sich, im sozialen Umfeld unauffällig zu bleiben, keine Forderungen wegen der Geruchsintoleranz zu stellen. Die persönlichen Versuche der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, trotz defekter Körperstrukturen, erfordern einen steigenden Aufwand an Vorbereitung und Nachbereitung ("Aufräumarbeiten", Duftbeseitigung). Irgendwann geht das Versteckspiel nicht mehr, man muss sich, in kleinen Schritten, bekennen und trifft dabei auf "rücksichtsvolles" Schweigen oder Unverständnis.

Ich habe seit vielen Jahren das Gefühl, ich würde die Gesellschaft stören. Ich bekomme aber bei solchen Gedanken kein schlechtes Gewissen mehr, seit ich meinen Kampf gegen die Rentenversicherung um Leistungen zur ungestörten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft verloren habe.

Ich erwarte keine Rücksicht aus meinem sozialen Umfeld, weil meine Mitmenschen zu sich selbst - aprilfrisch weichgespült - rücksichtslos sind.

Ich kann die Gesellschaft nicht derart ändern, dass ein Reinluftgebiet entstehen würde. Ich kann lediglich hin und wieder den parfümierten Zeitgeist in seiner Wohlfühlphase stören.

Ich habe keine Lust mehr, bei Teilhabeversuchen am Leben in der Gesellschaft mein merkwürdiges Verhalten immer und immer wieder begründen zu müssen. Ich sage der Verwandtund Bekanntschaft ohne Rücksicht auf Befindlichkeiten, dass die Duftstoffe in deren Haushalten für mich Sargnägel, wie beim Raucher die Zigaretten, sind. Besuche können deshalb nur im Freien oder, kurzzeitig, bei weit geöffneten Fenstern in deren Wohnungen stattfinden. Meine Wohnung ist mein Rückzugsgebiet und für die Düfte anderer Leute gesperrt.

Die Geruchsempfindlichkeit ist lästig, aber gleichzeitig ein Frühwarnsystem. Die MCS-Symptomatik erfordert ständige Fluchtbereitschaft.

Die Leistungseinbrüche, die nervlichen Funktionsstörungen, die Atemwegssymptomatik und die anderen Beeinträchtigungen nach unvermeidlichem Kontakt zu meist luftgetragenen Fremdstoffen erinnern immer wieder daran, dass ein normales Leben, so wie früher, nicht stattfindet.

ICD 10 T 78.4 (sonstige Überempfindlichkeiten) wird der Schwere der Gesundheitsstörungen der Umwelterkrankten nicht gerecht.
Die Anerkennung der MCS als Schwerbehinderung dürfte unter der Diagnosenummer ICD 10 T 78.4 schwierig werden. Das Schwerbehindertenrecht kennt drei Kategorien: Körperliche, geistige und seelische Behinderung. Es ist abzusehen, dass das Versorgungsamt die Gesundheitsstörung "sonstige Überempfindlichkeiten" nicht als körperliche Behinderung einordnet.
Die vor 4 Jahren begonnene Therapie mit Mikronährstoffen führte dazu, dass in schadstoffarmer Umgebung etliche der nervlichen Irritationen deutlich zurückgehen. Die NO-Konzentration ist nicht mehr dauerhaft erhöht, der Nachweis existiert als Messwert.

Vor Beginn der Therapie kam ich nach chemischer Belastung nicht richtig frei; im Kopf war ständig mehr oder weniger Nebel. Heute kann ich im voraus abschätzen, mit welchen Abstürzen ich nach Teilhabeversuchen am Leben in der chemisierten Gesellschaft rechnen muss. Eine Behandlung beim Zahnarzt, ca. 30 Minuten, bewirkt einen mehrstündigen Rauschzustand wie nach einem Trinkgelage, nur nicht so lustig. Erst 2 bis 3 Tage später ist der Ausgangszustand des Stoffwechsels annähernd erreicht. Ich plane mit dem Zahnarzttermin gleich 2 Tage Stubenarrest ein, keine weiteren Verpflichtungen.

Die Therapie mit Mikronährstoffen hat die mögliche Verweildauer in belastender Umgebung nicht verlängert. Ein Kaufhaus oder die Straßenbahn sollte ich nach ca. 15 Minuten verlassen haben, so wie früher. Die Rückkehr zum Ausgangszustand geht allerdings schneller bzw. ist deutlicher wahrnehmbar.

Erwähnt sei, dass einige der Verordnungen schlecht toleriert und deshalb nicht oder nicht kontinuierlich verwendet werden.

Die Therapie mit Mikronährstoffen hat zu einer wesentlich günstigeren Energiesituation im Körper in belastungsarmer Umgebung beigetragen, aber die Fehlfunktion der beschädigten Eingangsfilter (Haut, Nase, Bluthirnschranke) gegenüber Schadstoffen bleibt für das Regelungssystem (siehe Abb.) im Belastungsfall dominant.

Welche Wünsche bestehen für die Zukunft?
Zuallererst unparfümierte und schadstofffreie Atemluft.
Die Gesellschaft wird dazu kaum einen gezielten Beitrag leisten. Eher könnten Umwelterkrankte von einem prognostizierten Effekt der durch den Menschen verursachten Klimaveränderung profitieren, der Zunahme der Häufigkeit von Stürmen.
Der Tag nach dem Orkan "Kyrill" war super! Über allen Straßen und Plätzen lag frische Luft. Wöchentlich ein kräftiger Sturm wäre akzeptable Medizin.

Richtig Sorgen bereitet der Gedanke, in Folge eines Unfalls oder einer akuten Erkrankung in ein Krankenhaus eingewiesen zu werden und dort, ohne Möglichkeit der Gegenwehr, wegen der Unwissenheit oder Unwilligkeit des Personals bzgl. der MCS-Symptomatik kaputtgespielt zu werden. Ich habe dabei den Chef eines Fachkrankenhauses für Lungenerkrankungen vor Augen, einen Herrn Professor, dem ich mich Ende 2003 vorstellte.

Er erklärte MCS als Befindlichkeitsstörung. Wer sich als Empfindlicher z.B. mehrere Stunden z.B. in Kaufhäusern aufhalte, käme dort raus, als wenn er eine große Last trage, er sei wie gerädert. Das habe in Amerika einen Namen: Big-Building-Syndrom. Großes Haus, eben Kaufhäuser. Das war kein Versprecher. Ich korrigierte das Big-Building-Syndrom nicht auf Sick-Building-Syndrom. Die Situation war peinlich. Es gab natürlich keine weiteren Konsultationen dort.

Für die Zukunft wünsche ich allen Umwelterkrankten, niemals einem Dr. med. Big-Building-Syndrom wehrlos zur medizinischen Behandlung ausgeliefert zu sein.

Nachweise

  1. MASCHEWSKY, W. (1996): Handbuch Chemikalienunverträglichkeit (MCS), medi Verlagsgesellschaft Hamburg.
  2. SCHIELE, EDER-STEIN (2002): Leben mit MCS, Books on Demand GmbH.
  3. WINKEL, FENNER, KÖSTER (2004): Oxidativer Stress in der Umweltmedizin, umg 17(3): 238-244.
  4. ELSNER, G. (1998): Leitfaden Arbeitsmedizin, VSA-Verlag Hamburg, 1998, S. 267-282, E.ECK: Wenn wir unsere Haut zu Markte tragen.
  5. KUKLINSKI, SCHIEFER, BLEYER (2003): S-100 bei Hirnschrankenschädigung erhöht. Zeitschrift für Umweltmedizin 16(1): 16-19.
  6. KUKLINSKI, B. (2006): Das HWS-Trauma, Aurum Verlag.
  7. WARNKE (2005): Pathologische Wirkungsmechanismen der Schädigung durch Hochfrequenzsender - ein plausibles Modell, umg 18(2): 107-118.
  8. KUKLINSKI, B. (2005): Zur Praxisrelevanz von nitrosativem Stress. umg 18(2): 95-106.
  9. BfA (2002): Fremdwort Rente, S. 58, BfA, 10704 Berlin, Dezernat für Presse und Öffentlichkeitsarbeit, Januar 2002.
  10. MERZ, T. (2004): VOC-komplexe Krankheitsbilder durch zelluläre Multifunktionsstörungen, umg 17(1): 46-56

Autor: Volker Schaupp, 39120 Magdeburg

Quelle: umg 1/2008, Diskussion, Zum Umgang mit Umwelterkrankten, S. 67/68 - PDF

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Zitat

"Allerdings gibt es Menschen, die eine erhöhte Sensibilität für diese physikalisch einwirkenden Strahlen besitzen.  Wir nehmen an, dass mindestens fünf Prozent der Menschen von vornherein elektrosensibel sind, und dass bis zu 15 Prozent der Patienten sensitiv auf solche Arten von Feldern zu reagieren lernen."

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