Europaweiter Durchbruch im Feinstaubstreit

Freitag, den 25. Juli 2008 um 00:00 Uhr Redaktion
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Deutsche Umwelthilfe feiert heutige Grundsatzentscheidung des EuGH

Luxemburg / Berlin (ots) - Europäischer Gerichtshof schafft einklagbares "Recht auf saubere Luft" - Betroffene Bürger können ab sofort in ganz Europa wirksame Maßnahmen einklagen - DUH Bundesgeschäftsführer Resch kündigt weitere Musterklagen an, wo Kommunen nicht unverzüglich handeln - DUH will in besonders belasteten Gemeinden wie Stuttgart, München und Städten in NRW bereits 2009 erweiterte Fahrverbote für Dieselstinker durchsetzen

 Luxemburg/Berlin, 25. Juli 2008: Von hohen Feinstaubbelastungen betroffene Bürger haben ein vor Gericht einklagbares subjektives "Recht auf saubere Luft". Betroffene können ihre Stadtverwaltungen seit heute zur Aufstellung eines Aktionsplans verpflichten, der Sofortmaßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität - bis hin zu umfassenden Fahrverboten für Dieselstinker - beinhaltet. Das entschied heute der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg.

"Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist der Durchbruch im Kampf gegen das Feinstaubproblem. Viele hunderttausend vom Dieselruß betroffene Bürger in den Ballungszentren Deutschlands und darüber hinaus können bald aufatmen", kommentierte Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), den Richterspruch. "Die DUH wird auf Basis dieser Grundsatzentscheidung nun in ausgewählten Kommunen Eilverfahren zur beschleunigten Durchsetzung wirksamer Verkehrslenkungsmaßnahmen initiieren". In besonders belasteten Städten und Ballungsräumen wie Stuttgart, München und in Nordrhein-Westfalen werde die DUH Musterklagen betroffener Bürger unterstützen. Für Diesel-Pkw und Lkw ohne grüne Plakette rechnet Resch schon für 2009 mit Fahrverboten.

Dem Spruch des EuGH lag eine Klage des Münchner Bürgers Dieter Janecek zugrunde, der sich mit Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH) seit mehr als drei Jahren gegen die massive Überschreitung der EU-weit gültigen Feinstaubgrenzwerte in seiner Wohnstraße, der Landshuter Allee, wehrt. Die DUH hatte seit Anfang 2005 angesichts lebensbedrohender Feinstaubbelastungen in vielen Ballungszentren die Einführung von Umweltzonen gefordert und entsprechende Betroffenen-Klagen forciert. Die nachfolgende Feinstaubdiskussion führte schließlich nach jahrelanger Blockade durch die deutschen Autohersteller zum annähernd flächendeckenden Einbau von Partikelfiltern in Diesel-Neuwagen.

Janecek hatte zunächst durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt, um den Freistaat Bayern zu verpflichten, einen Aktionsplan zur Feinstaubbekämpfung für das Stadtgebiet der Landeshauptstadt München aufzustellen. In diesem Aktionsplan sollen alle Maßnahmen enthalten sein, die erforderlich sind, um den Grenzwert so schnell wie möglich einzuhalten.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied schließlich am 29. März 2007, dass das deutsche Recht einen solchen Anspruch nicht kennt. Vielmehr müsse der Bürger konkrete Beschränkungen, etwa des Straßenverkehrs, einklagen. Diese Maßnahmen müssen jedoch nicht zu einer Grenzwerteinhaltung führen. Diese Rechtsprechung hätte zur Konsequenz, dass von Feinstaub belastete Bürger gegen jeden Straßenzug und jede Industrieanlage einzeln vorgehen müssten, um entsprechende Nutzungsbeschränkungen vor Gericht durchzusetzen. In einer Stadt wie München hieße dies, als Bürger hunderte Verfahren führen zu müssen, um eine Einhaltung des Grenzwerts zu erreichen. Auch eine Umweltzone, die aktuell weitreichendste Maßnahme zur Reduzierung der Feinstaubbelastung, könnten Bürger nicht vor Gericht einklagen. Eine Einhaltung des Grenzwerts wäre ebenfalls nicht sichergestellt. Dies veranlasste das Bundesverwaltungsgericht, die entscheidenden Fragen des Rechtsstreits dem EuGH vorzulegen.

Der Europäische Gerichtshof (Az.: C-237/07) hat für die gesamte Europäische Union am heutigen Vormittag entschieden, dass der Bürger einen Anspruch auf Aufstellung eines Plans zur Feinstaubbekämpfung hat. Wie der EuGH hervorhebt, wäre es "mit dem zwingenden Charakter der Richtlinie unvereinbar, grundsätzlich auszuschließen, dass eine mit ihr auferlegte Verpflichtung von den betroffenen Personen geltend gemacht werden kann. Diese Überlegung gilt ganz besonders für eine Richtlinie, die eine Eindämmung und Reduzierung der Luftverschmutzung und damit den Schutz der öffentlichen Gesundheit bezweckt." (Urteil, Randziffer 37). Der Aktionsplan muss alle Maßnahmen enthalten, die die Einhaltung des Grenzwerts schrittweise ermöglicht. Die Maßnahmen müssen Überschreitungen des Grenzwerts zunächst auf ein Minimum reduzieren. Überdies müssen die in dem Plan enthaltenen Maßnahmen perspektivisch in der Lage sein, für die Einhaltung des Grenzwerts zu sorgen. Die Vorteile eines solchen Anspruchs sind gewaltig: Der Bürger muss nur noch eine einzige Klage erheben, um die Feinstaubbelastung in einer ganzen Stadt zu senken. Überdies kann er dadurch unmittelbar eine Umweltzone einklagen. Klagebefugt sind auch nicht nur Bürger, die neben einer Messstelle wohnen (wie bisher), sondern alle Bürger der Stadt. Entscheidend ist, dass der Grenzwert durch die in den Plan aufgenommenen Maßnahmen in naher Zukunft wieder eingehalten werden muss und dass dies nicht im Ermessen der Städte liegt.

"Es gibt ein Recht auf saubere Luft und der Bürger kann es einklagen. Dieses Urteil macht vielen tausenden Anwohnern belasteter Hauptverkehrsadern große Hoffnung", erklärte der Berliner DUH-Anwalt Dr. Remo Klinger aus der Kanzlei Geulen & Klinger, der den Kläger durch alle Instanzen vertreten hatte.

Die Landshuter Allee in München zählt nach den Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes (UBA) zu den bundesweit am stärksten belasteten Straßen. Gegenwärtig liegt sie auf Platz sechs der UBA-Liste. Feinstaub gilt als das derzeit schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland und geht entlang der am höchsten belasteten Hauptverkehrsadern vor allem auf die Emissionen von Pkw- und Lkw-Dieselmotoren zurück. Die DUH unterstützt deshalb schon seit 2005 betroffene Bürger bei ihren Klagen gegen die Feinstaubbelastung. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation WHO hatten ergeben, dass in Deutschland insgesamt 75.000 Menschen vorzeitig an der Feinstaubbelastung sterben. Im Durchschnitt verlieren die Opfer zehn Jahre ihrer Lebenszeit.

Das vollständige EuGH-Urteil kann hier ^ heruntergeladen werden.

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