Prof. Erich Schöndorf zum Thema Umwelterkrankungen und rechtliche Anerkennung

Donnerstag, den 19. Juni 2008 um 08:18 Uhr Redaktion
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"Wenn die Umwelt krank macht, ... muss die Politik handeln"
Die Umweltrundschau fragt nach!

Unsere Eingriffe in die Natur zeigen nicht nur offensichtliche Folgen. Jeder redet von den Lebensrechten sterbender Bienen und kranker Bäume. Was ist mit unseren Menschenrechten?

Umwelterkrankungen sind auf dem Vormarsch. Umweltpatienten, die z. B. aufgrund einer erworbenen Chemikalienintoleranz (erw. MCS), Elektrosmogintoleranz, Allergie, chronische Erschöpfung (CFS) oder einer anderen schweren schadstoffinduzierten Multisystemkrankheit, Chemikalienopfer geworden sind, führen oftmals jahrelange Prozesse. Auch wenn Umwelterkrankte Recht haben, wird ihnen noch lange nicht Recht zugesprochen. Schwer kranke Menschen müssen aus dem leidvollen Alltag einer chronischen Erkrankung heraus beweisen, dass sie Opfer geworden sind. Es ist die Rede von Objektivierbarkeit, Kausalzusammenhängen und "wissenschaftlich nicht erwiesen". Da mag das chronisch, schwer geschädigte Opfer kaum noch in der Lage sein ein Minimum des Alltags zu bewältigen, es dreht sich dennoch um die Beweisbarkeit. Woran liegt es, dass die Beweislast noch immer bei den Chemikalienerkrankten liegt? Sind die Folgen für uns Menschen aufgrund einer Überbelastung mit Industriegiften wirklich nur als individuelles Problem zu sehen? Das Team der Umweltrundschau will es für SIE genauer wissen. Experten antworten:

Anlässlich des anstehenden Fachgespräches [1] zu Umwelt und Gesundheit von "Bündnis 90 / Die Grünen" am 20. Juni 2008 in Berlin "Wenn die Umwelt krank macht, ... muss die Politik handeln" [1], führte die Umweltrundschau ein Gespräch mit dem ehemaligen Staatsanwalt und heutigen Dozenten für Umweltrecht Prof. Erich Schöndorf.

UR: Sehr geehrter Herr Prof. Erich Schöndorf, als ehemaliger Staatsanwalt und Dozent für Umweltrecht sind Sie sicherlich der richtige Ansprechpartner wenn es um grundlegende Fragen zu Beweislastumkehr, Kausalzusammenhänge in Bezug auf Chemikalien als Ursache für Umwelterkrankungen und ähnliche Rechtsfragen geht, nicht wahr? Warum wird Chemikaliengeschädigten eine Anerkennung der Krankheit so erschwert?

Prof. E. Schöndorf: Das Thema ist medizinisch/toxikologisch geprägt und das ist für Juristen fremdes Land. Jura hat man ja studiert, weil es für Medizin nicht gereicht hat. Und jetzt kommt die ungeliebte Disziplin quasi auf Umwegen wieder zurück. Das ist ein wesentlicher Aspekt des Dilemmas.

UR: Ich zitiere aus einem Interview von Ihnen: "Viele Experten decken die chemische Industrie, weil sie von ihr Forschungsgelder erhalten. Diese Ärzte haben die Opfer als "Ökochonder" verhöhnt, die schon krank werden, wenn sie Schadstoff nur hören." Auch sagten Sie in einem Interview, dass in dem von Ihnen geführten Holzschutzmittelprozess eine Strafverfolgung nicht erwünscht gewesen sei und der Bundesgerichtshof dem Druck der Chemieindustrie nachgegeben hätte. Erkennen Sie in der heutigen Rechtsproblematik von Umwelterkrankten, Parallelen zu damals und wenn ja, liegt es an der fehlenden Zivilcourage der Einzelnen?

Prof. E. Schöndorf: Es ist das alte Lied: Umweltkranke sind nicht erwünscht, denn sie stellen letztlich das System infrage. Fehlende Zivilcourage kann ich nur bei den Richtern erkennen, die lieber die Kranken im Regen stehen lassen als dass sie die Mängel des Systems offen legen oder den prominenten Wirtschaftsführern schuldhaftes Verhalten assistieren.

UR: Sie waren bei den Ermittlungen zum Einsatz von Schädlingsbekämpfungsmittel (in diesem Fall Pyrethroide) in Passagierflugzeugen der ermittelnde Staatsanwalt. Warum wurde dieses Verfahren eingestellt?

Prof. E. Schöndorf: Das kann ich nicht sagen, denn da waren letztendlich meine Nachfolger am Werk. Allerdings soll die Einstellungsverfügung über 100 Seiten lang gewesen sein. Insider wissen: Dieser Umfang spricht für die Hilflosigkeit des Bearbeiters

UR: Was kann jeder Anwalt, der einen Chemikaliengeschädigten vertritt, Ihrer Erfahrung nach tun um seine umwelterkrankten Mandanten zu unterstützen?

Prof. E. Schöndorf: Dafür sorgen, dass sein Mandant das ihm zustehende Recht bekommt. Nicht leicht, denn viele Umweltkranke haben kein Geld. Diese Mandate sind für den Anwalt wenig lukrativ.

UR: Was raten Sie schadstoffgeschädigten Menschen?

Prof. E. Schöndorf: Nicht zu verzweifeln und sich einen langen juristischen Atem leisten.

UR: Wie können Arbeitgeber ihre Mitarbeiter vor Berufskrankheiten aus dem Bereich des Umweltrechts schützen und was gilt es zu bedenken, wenn eine Schädigung bereits stattgefunden hat?

Prof. E. Schöndorf: Arbeitgeber sollten auf die Verfahren und Stoffe verzichten, die auch nur ansatzweise im Verdacht stehen, Menschen zu schädigen. Es wäre unlauter sich auf die interessengeprägte Schulmedizin zu verlassen, die vielleicht vor juristischer Inanspruchnahme schützt aber den Arbeitnehmer nicht vor Krankheit bewahrt.

UR: Am 20. Juni 2008 findet das Fachgespräch "Wenn die Umwelt krank macht, ... muss die Politik handeln" [1], statt. Der Gesetzgeber hat ein separates Umweltrecht und ein Umweltstrafrecht geschaffen. Sind Sie der Meinung, dass die Politik etwas für den Stand des Umweltrechts in Deutschland tun kann und sollte, und wenn ja, wie sollte die Rechtslage der Umwelterkrankten konkret verbessert werden?

Prof. E. Schöndorf: Es wäre ein großer Schritt nach vorne, wenn der Gesetzgeber zum Beispiel auf diesem Sektor die Umkehr der Beweislast festschreiben würde.

UR: Laut Bundesregierung, die am 17. April 2007 auf die kleine Anfrage der "Bündnis 90 / Die Grünen" [2] antwortete, liegt der Anteil der umweltmedizinisch ausgebildeten Hausärzte bei 1,2% (Bundestagdrucksache 16/4848) [3]. Wenn dementsprechend rund 99% aller Hausärzte umweltmedizinisch nicht ausgebildet sind, kann sicherlich nicht jeder Umwelterkrankte mit angepasster umweltmedizinischer Diagnostik und Therapie rechnen. Wie sehen Sie hierzu im Vergleich die Chancen, für ein Chemikalienopfer, einen kompetenten und unbefangenen Fachanwalt in Sachen Umweltstrafrecht bzw. Umweltrecht zu finden?

Prof. E. Schöndorf: Bei den Anwälten sieht es ähnlich aus. Es gibt zu wenig Spezialisten. Das hat damit zu tun, dass die Universitäten diesen Bereich komplett ignorieren. Dort ist Handlungsbedarf.

UR: Sie sind Dozent für Umweltrecht, schreiben Bücher, stehen immer wieder den Medien zur Verfügung und klären auf, warum nach Ihrer Erfahrung nach die Justiz versagt hat und sogar von Wirtschaftskriminalität in bezug auf Chemikalienopfer die Rede sein sollte. All dass erfordert viel Kraft und Engagement und ist äußerst bewundernswert. Warum tun Sie das alles und was würden Sie konkret verändern, wenn Sie einen Wunsch frei hätten?

Prof. E. Schöndorf: Warum man etwas tut oder nicht tut hat mit der Genetik zu tun und mit den Einflüssen unter denen man lebt. Das Sein bestimmt auch insoweit das Bewusstsein. Wenn ich einen Wunsch frei hätte würde ich mir eine Solarzelle mit einem 50prozentigen Wirkungsgrad wünschen.

UR: Nach den Inhalten Ihrer Bücher zu urteilen, gehören Menschenrechtsverletzungen wie untersagte Strafverfolgung, Betrug, Diskriminierung und befangene Gutachter zum traurigen Alltag der "versagenden Justiz". Was meinen Sie als ehemaliger Staatsanwalt, was passieren müsste, damit die Justiz, Gutachter und Justizbeamte sich gerechter für mehr Menschenrechte einsetzen? Ist ein Paradigmenwechsel nötig oder würde die Umkehr der Beweislast, wie MdB Frau Kotting-Uhl es vorschlägt, schon ein zufriedenstellender Ansatz sein können?

Prof. E. Schöndorf: Fortschritt geschieht in kleinen Schritten. Hier noch einmal zur Beweislastumkehr. Ich will kurz erläutern wie ich sie mir vorstelle: Wenn eine Person einem toxischen Stoff ausgesetzt ist, als Arbeitnehmer beispielsweise, und er wird krank, wobei seine Beschwerden in einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit der Exposition stehen und wenn dann noch die Beschwerden typisch sind für den fraglichen Stoff, wie das im Fall einer Polyneuropathie nach Lösemittel-Exposition der Fall ist, dann ist es Sache des Arbeitgebers oder Produktherstellers zu beweisen, dass der fragliche Stoff die Krankheit nicht verursacht hat. Gelingt es ihm nicht, ist der Weg frei für seine Haftung. Heute muss der Umweltkranke den kompletten Beweis für den kausalen Zusammenhang zwischen Exposition und Krankheit erbringen. Das ist ihm regelmäßig nicht möglich, da er mögliche alternative Ursachen nie ganz ausschließen kann.

UR: Vielen Dank für dieses informative Gespräch. Wir wünschen Ihnen und Ihren Studenten Alles Gute und auch weiterhin einen stets gut ausgeprägten Scharf- und Gerechtigkeitssinn. Das Fachgespräch in Berlin [1] lässt uns hoffen.

Das Gespräch für die Umweltrundschau führten Aida Infante und Klaus Fenslau
redaktion ( at) umweltrundschau.de
www.umweltrundschau.de

Zur Person:
Professor Erich Schöndorf war von 1977 - 1996 Staatsanwalt in Frankfurt/Main. Die letzten zehn Jahre war er im Umweltdezernat tätig. Zwischen 1984 und 1996 war er in der Hauptsache mit dem "Holzschutzmittel-Verfahren" befasst. Bei dem Verfahren um die Folgen der PCP- und lindanhaltigen Holschutzmittel Xyladecor und Xylamon kam es zur Verurteilung zweier Ex-Manager des Herstellers Desowag wegen 29-facher Körperverletzung. Das Urteil wurde im Nachhinein aufgehoben. Seither kritisiert Prof. Erich Schöndorf das Versagen der Justiz bei der Verfolgung von Chemiekonzernen. Seit 1996 ist er Professor für Umweltrecht und öffentliches Recht an der Fachhochschule Frankfurt/Main. Seit vielen Jahren betätigt er sich kreativ im Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) mit dem Schwerpunkt Klimaschutz. Seit 1998 ist er auch Mitherausgeber des Magazins "Business Crime" und im Jahre 2002 übernahm er eine Vorstandsmitgliedschaft von Business Crime Control e.V..

Kontakt:
Professor Erich Schöndorf
Mail: info (at) schoendorf-erich.de
www.wirtschaftsverbrechen.de
Tel: 06101 - 44590

Buchtipps aus der Feder des Prof. Erich Schöndorf:

Das Projekt
Nomen-Verlag
ISBN: 3-9809981-4-2
468 Seiten * 22,00 Euro

Feine Würze Dioxin
Bad Vilbeler Buchverlag
ISBN 3-89533-251-8
462 Seiten * 22,00 Euro

Strafjustiz auf Abwegen - Ein Staatsanwalt zieht Bilanz
Fachhochschulverlag
ISBN 3-931297-94-2
Taschenbuch * 240 Seiten * 13,30 Euro

Von Menschen und Ratten Über das Scheitern der Justiz im Holzschutzmittel-Skandal
Verlag Die Werkstatt
ISBN 3-89533-251-8
Taschenbuch * 287 Seiten * 12,60 Euro

Links:
[1] Fachgespräch am 20.6.2008: www.gruene-bundestag.de/cms/termine/dok/235/235488._wenn_...
[2] Kleine Anfrage der Bundestags Grünen:
dip.bundestag.de/btd/16/046/1604657.pdf
[3] Antwort der Bundesregierung vom 17.04.2007
Im Bundestag notiert: Umweltmedizin: www.bundestag.de/aktuell/hib/2007/2007_100/11.html