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Dr. Norbert Blüm: Gutachter führen Ärzte in die Irre

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Öffentliche Mitteilung

Gutachter führen Ärzte in die Irre – zum Schaden  durch Nervengifte schwer Erkrankter
Rente für durch Chemikalien Geschädigte – BK 1317


1996 wurde meinem Ministerium die Empfehlung gegeben, für alle Berufe, die einen Kontakt mit Lösungsmitteln und anderen organischen flüchtigen Stoffen mit sich bringen, eine anerkannte Berufskrankheit einzuführen. Diese wurde ein Jahr darauf mit der Berufskrankheiten -Nr. 1317 umgesetzt.
Der wissenschaftliche Sachverständigenbeirat hatte für diese Empfehlung eine große Anzahl von Studien gesammelt, die für entsprechende Berufe wie Maler, Lackierer, Kfz-Mechaniker, Tankwarte, Arbeiter in Schuhfabriken, Teppichleger, Metallverarbeitung (Entfettung), chemische Reinigungen, Drucker etc. Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems nachgewiesen haben.

Die Erkrankung trägt die Bezeichnung toxische Enzephalopathie (TE) und toxische Polyneuropathie. Leichte Fälle leiden unter Störungen der Psyche – Angst, Depression, Stimmungsschwankungen, Affektlabilität - und der Lern- und
Denkfähigkeit, besonders das Kurzzeitgedächtnis, Planausführung, Texterfassung, begleitet von Kribbeln und Taubheitsgefühl in den Extremitäten. Hinzu können Koordinationsstörungen, Ataxien und Tremor auftreten.
In schweren Fällen können sich Demenzen entwickeln. Die Studien weisen auch nach, dass diese neurotoxischen Stoffe präsenilen Demenzen förderlich sind.

Die BK 1317 sollte diesen Menschen die Rente sichern.

Die Studien aus den 70er Jahren beweisen die Nervenschäden dieser Berufsgruppen auch bei Einhaltung der Grenzwerte (MAK). Damit müssen die Betroffenen keinen Nachweis der Grenzwertüberschreitung führen. Die Diagnose TE genügt. Diese wurde bereits 1985 durch die WHO definiert.

Keine Rente wegen organisierter Falschdarstellung

Vor wenigen Wochen wurde ich von der Initiative kritischer Umweltgeschädigter darauf aufmerksam gemacht, das bisher nur schwerste Fälle anerkannt worden sind und der Mehrheit der Geschädigten die Anerkennung verweigert wird. Die Initiative kennt Hunderte harter Schicksale, die oft noch obendrein wegen ihrer Krankheit diskriminiert werden. Sie vermutet eine hohe Dunkelziffer, da die Erkrankung nur in seltenen Fällen erkannt wird.

Die Ursache dafür ist eine prägnant falsche Darstellung der Erkrankung – insbesondere der Krankheitsverlauf - im Merkblatt für Ärzte zur Berufskrankheitanzeige, so dass schon die Verdachtsanzeige in der Regel unterbleibt. Die Minderheit, die durch Eigeninitiative bis zu einem Gerichtsverfahren durchdringen, werden dort abgelehnt, da die arbeitsmedizinischen Gutachter sich ebenfalls an diesem Merkblatt orientieren.

Das Merkblatt steht im krassen Gegensatz zu den wissenschaftlichen Grundlagen wie sie durch den Sachverständigenbeirat dargelegt wurden - obwohl einer der Autoren des Merkblatts, Prof. Johannes Konietzko, selbst Mitglied des Beirats war. Andere Mitglieder des Beirats haben mittlerweile die Sache überprüft und festgestellt, dass das Merkblatt inhaltlich falsch ist.

Diese Falschdarstellung war wohlorganisiert. Der BK-Report (3/99) des Hauptverbandes der gewerblichen Berufgenossenschaften (HVBG) belegt einen solchen Verdacht. Dort werden wissenschaftliche Quellen angegeben, die das genau Gegenteil von dem enthalten, was sie angeblich belegen sollen. Die angegeben Quellen zeigen, dass die Nervenschäden meist irreversibel sind und auch nach Ende der Exposition sich noch verschlimmern können, der Report und das Merkblatt schließen letzteres aus und sprechen von Heilung. So wird der diagnostizierende Arzt in die Irre geführt.

Dringend notwenige Information für Ärzte

Das Merkblatt muss umgehend geändert werden zur Sicherung einer angemessenen medizinischen Versorgung und des rechtliche Schutzes wohl zehntausender beruflich bedingt Erkrankter. Vor allem muss dringend die Ärzteschaft an geeigneter Stelle flächendeckend über die Fehlinformation unterrichtet werden.

Enorme Kosten – enorme Schäden

Ich erachte es als unerträglich, dass eine kleine Gruppe gut organisierter Gutachter mittels Fälschung der wissenschaftlichen Grundlagen eines Spezialgebietes die Beschlüsse der Bundesregierung und die gerichtliche Überprüfung unterlaufen, um das Einzelinteresse der Versicherungen (Berufsgenossenschaften), das im Sachverständigenbeirat sich wegen der eindeutigen wissenschaftlichen Informationslage nicht hatte durchsetzen können, doch noch über das Allgemeinwohl zu stellen.

Ein Gutachter, der es gewohnt ist, solchen Widersprüchen nachzugehen, hat mich davon in Kenntnis gesetzt, dass solche Fälschungen auf dem Gebiet umweltbedingter Erkrankungen notorisch sind, so dass ein bereinigtes Wissenschaftsbild entsteht. Das Risiko erscheint viel kleiner und verhindert so flächendeckend Prävention, unterdrückt diagnostische Instrumente und verhindert angemessene Therapien. Der Wegfall von Prävention und falschen Therapien, z.B. produziert chronische Kranke eine Explosion der Kosten.

Auf diesem Wege fügt der Hauptverband der Berufsgenossenschaften und seine Autoren Einzelnen und der Gemeinschaft enormen Schaden zu. Dies führt alljährlich vermutlich bei Tausenden von Menschen regelmäßig zum sozialen Ruin und die Kosten der Solidarkassen werden zugunsten von organisierten Einzelinteressen aufgebläht.
Gegenüber der menschlichen Niederträchtigkeit einer solchen Karrierepflege kann ich nur Abscheu empfinden.

Kontrolle und Regress

Dieser Vorgang muss Folgen haben im Sinne von unmittelbaren Regress in Bezug auf den entstandenen Schaden und im Sinne von Kontrolle. Denn der Vorgang zeigt, das Expertengremien allein keine Gewähr bieten, dass der Stand der Wissenschaft zum Wohl und Schutz der Allgemeinheit genutzt wird.

Protokolle solcher Gremien müssen öffentlich zugänglich sein und eine Wiederbefassung muss im Wege der Öffentlichkeit erzwingbar sein. Andernfalls werden die Kosten der Solidarkassen weiter explodieren. Allein die Verlagerung der Nichtanerkennung der BK 1317 ist mit 3 Mrd. € per Anno noch sehr vorsichtig geschätzt.

Eine Reform der Solidarkassen wird nicht gelingen können, wenn sie solche Kosten übernehmen müssen. Eine verursachergemäße Zuordnung dieser Kosten würde zu einer massiven Entlastung der Beitragszahler (Lohnnebenkosten) führen. Eine rechtzeitige Prävention führt zur Entlastung der Frühverrentungsquote.

Autor: Norbert Blüm
 

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